Institutionelle Kommunikation: Korpora, Analyse, Anwendung

Kommunikation in Institutionen ist durch den Einsatz von Akten, Formularen, digitalen Endgeräten und weiteren Ressourcen geprägt, die zu einer Verflechtung unterschiedlicher modaler Ausprägungen sprachlicher Interaktion führen. Diese jeweils vielschichtig Orientierung an sprachlichen und außersprachlichen Faktoren herauszuarbeiten, d.h. den individuellen Fingerabdruck des jeweiligen institutionellen Interaktionstyps zu identifizieren (vgl. Heritage / Greatbatch 1991: 95), stellt aktuell das Ziel auffallend vieler Forschungsarbeiten und -projekte dar, deren Ergebnisse auch großes Potential für die Anwendung in der (Berufs-)praxis bieten, wie bspw. in der Medizindidaktik (Kliche 2015; Coussios / Imo / Korte 2019), der Psychotherapie (vgl. Graf et al. 2019), im Rahmen eines korpusbasierten Trainingskonzepts für DolmetscherInnen (Bührig et al. 2012) oder empirisch fundierten Unterrichtsmaterialien für den Unterricht Deutsch als Fremdsprache (vgl. Schopf / Weidner i.E.). 

Allerdings birgt die Arbeit mit institutionellen Daten auch zahlreiche spezifische Herausforderungen in allen Projektphasen. An dieser Stelle setzt der geplante Workshop an, indem er den Einsatz von Tools aus dem Bereich der Digital Humanities für die Analyse von institutioneller Kommunikation aufzeigt, welche diese charakteristischen, vielschichtigen Datentypen handhabbar, vergleichbar und auswertbar machen können. So werden in einem ersten Schritt zunächst konkrete Herausforderungen bei der Datenerhebung institutioneller Kommunikation beleuchtet bzw. bereits existierende Korpora (CLARIAH-DE, Plattform Gesprochenes Deutsch) vorgestellt. In einem zweiten Schritt werden dann method(olog)ische Implikationen diskutiert und konkrete Tools aufgezeigt, die die Digital Humanities für die Annotation, Analyse und Auswertung institutioneller Kommunikation bereitstellen und durch Techniken der Datenaufbereitung innovative Fragestellungen und Methoden ermöglichen.  

Korpora und Daten aus dem institutionellen Kontext

Abhängig von der Fragestellung steht jedes Forschungsprojekt vor der Entscheidung, ob auf bereits bestehende Korpora zurückgegriffen wird oder eine Erhebung spezifischer institutioneller Daten notwendig und sinnvoll ist. Der Workshop soll beide Wege skizzieren sowie deren spezifische Vor- und Nachteile aufzeigen. Dazu werden zum einen bereits existente Korpora aus dem institutionellen Setting präsentiert und erläutert, beispielsweise Daten aus klinischen Kontexten, schulischen Settings und Behördenkommunikation, welche dem CLARIAH-DE-Verbund angehören, sowie diverse Gattungen der Hochschulkommunikation oder dem Dienstleistungssektor, die Teil der „Plattform Gesprochenes Deutsch“ sind. Zum anderen wird der Workshop einen Austausch von Erfahrungen ermöglichen, best practice-Beispiele einbringen und Workflows bzw. Materialien vorstellen, die zu einer erfolgreichen eigenständigen Datenerhebung in Kooperation mit den entsprechenden Institutionen beitragen können. Herausfordernd kann hier bspw. eine geringen Teilnahmebereitschaft aufgrund von heiklen oder unter Schweigepflicht stehenden Gesprächsinhalten (z.B. Psychotherapie- oder polizeilichen Verhörgesprächen) sowie das Erlangen von Einverständniserklärungen zur Aufnahme sein. Zudem ist im institutionellen Kontext auch immer genauestens auszuhandeln, wie mit den erhobenen Daten verfahren wird, d.h. unter anderem, ob und im welchen Rahmen sie abgespielt werden dürfen, wo und wie lange sie gespeichert werden, wer unter welchen Voraussetzungen Zugriff auf das Korpus erhält und auf welche Art und Weise mit Persönlichkeitsrechten der Beteiligten umgegangen wird.  

Annotation und Analyse von (multimodalen) institutionellen Daten 

Konstituierend für viele institutionelle Kontexte ist bspw. eine die Kommunikation prägende Aufmerksamkeitsausrichtung der Interaktionsteilnehmenden an außersprachlichen Elementen wie Formularen, Schriftstücken oder technischen Geräten sowie der Gestik und aktionalen Ausdrucksformen der GesprächspartnerInnen. Dies kann die Auswertung insofern beeinflussen, dass reine Audioaufnahmen der Interaktionen zur Beantwortung der vorliegenden Forschungsfragen nicht zielführend sind und die Annotation bzw. Analyse u.U. auch multimodale Perspektiven eines größeren Interaktionsraums, die Verflechtung von Schriftlichkeit und Mündlichkeit sowie die Mensch-Maschine-Interaktion berücksichtigen muss. Der geplante Workshop möchte diesbezüglich Tools für spezifische Fragestellungen vorstellen und Ressourcen aufzeigen, mit denen die Digital Humanities zur Generierung und Entwicklung von innovativen Fragestellungen und Methoden zur Annotation und Analyse von institutionellen Daten beitragen kann. So eignet sich etwa EXMARaLDA zur Mehrebenenannotation von Sprache, Blickverhalten und Gestik, Praat zur Untersuchung einer prosodischen Alignierung mit KundInnen bzw. KollegInnen / Vorgesetzten, WebMAUS zur Annotation von Text und Audio und WebAnno zur kollaborativen Online-Annotation. Gegenwärtig existieren unterschiedliche Vorschläge zur Notation kinetischer Ausdrucksformen (vgl. z.B. Buehrig / Sager 2005), während bislang keine Konventionen für die Erstellung einheitlicher multimodaler Transkripte (Imo / Lanwer 2019) vorliegen, ebenso wenig wie für die Anonymisierung von Bild- und Videodaten.  Diesbezüglich soll der Workshop auch als Plattform zum Austausch über bisher eingesetzte und beschriebene Herangehensweisen dienen. 

Literatur: 

Bührig, Kristin / Kliche, Ortrun / Meyer, Bernd / Pawlack, Birte (2012): „The corpus ‘Interpreting in Hospitals’: Possible applications for research and communication training“, in: Schmidt, Thomas / Wörner, Kai (eds.): Multilingual Corpora and Multilingual Corpus Analysis. Amsterdam: Benjamins 305–315. 

Bührig, Kristin / Sager, Sven F. (eds.) (2005): Nonverbale Kommunikation im Gespräch. Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie 70. 

Coussios, Georgios / Imo, Wolfgang / Korte, Lisa (2019): Sprechen mit Krebspatienten. Ein gesprächsanalytisch fundiertes Trainingshandbuch für die medizinische Aus- und Weiterbildung. Göttingen: Verlag für Gesprächsforschung. 

Graf, Eva-Maria / Scarvaglieri, Claudio / Spranz-Fogasy, Thomas (eds.) (2019): Pragmatik der Veränderung. Problem- und lösungsorientierte Kommunikation in helfenden Berufen. Tübingen: Gunter Narr Verlag. 

Heritage, John / Greatbatch, David (1991): „On the Institutional Character of Institutional Talk: The Case of News Interviews“, in: Boden, Deirdre / Zimmerman, Don H. (eds.): : Talk and Social Structure. Berkeley: University 93-137.

Imo, Wolfgang / Lanwer, Jens Philipp (2019): Interaktionale Linguistik. Eine Einfüührung. Berlin: J. B. Metzler. 

Kliche, Ortrun (2015). Simulationspatienten in der medizinischen Ausbildung. Gesprächsanalytische Untersuchung der Schauspielerleistung am Beispiel von Verstehensäußerungen. Mannheim: Verlag für Gesprächsforschung. 

Schopf, Juliane / Weidner, Beate (i.E.): „Die Vielfalt des Deutschen vermitteln: Lernmaterialien und Ressourcen für einen plurizentrizitätssensiblen DaF-Unterricht“, in: Günther, Susanne / Schopf, Juliane / Weidner, Beate (eds.): Gesprochene Sprache in der kommunikativen Praxis. Analysen authentischer Alltagssprache und ihr Einsatz im DaF-Unterricht. Tübingen: Stauffenburg.